Die dunklen Phasen

“Das Leben eines Menschen ist das,
was seine Gedanken daraus machen.”
– Marc Aurel

In dunkleren Zeiten hatte ich früher Denkweisen wie: „Warum ich?” oder: „Das Leben ist gemein zu mir”. Ich fühlte mich ungerecht behandelt, als hätte ich ein Recht auf Leichtigkeit und Sonnenschein gepachtet, das nun nicht erfüllt wurde. Ich haderte mit dem, was war und versuchte, mich irgendwie heraus zu stehlen. Der Moment sollte anders sein, als es gerade war. Mit meinen Gedanken lief ich weg.

Dunkelheits-Verstärker
Was machten meine Gedanken aus meinem Leben? In den dunklen Zeiten verdammten und verteufelten sie es, sie suchten einen Schuldigen. Oft entwickelte sich eine Spirale, die mich tiefer in die Dunkelheit hinein zog. Wenn es im Außen einen Schuldigen gab, dann war ich das Opfer. Ich suhlte mich in meiner Opferrolle und fütterte damit die Dunkelheit. Meine Gedanken verstärkten sie.

Ab jetzt wird alles anders
Als ich über den Satz von Marc Aurel gestolpert bin, kam mir der Gedanke an das, was Kristina Vogel 2018 geschehen ist. Kurz nachdem sie ihren 11. Weltmeistertitel im Bahnradfahren gewonnen hat, stürzte sie beim Training schwer und ist seitdem querschnittsgelähmt. Was mag in ihrem Kopf vorgegangen sein, als ihr das Ausmaß ihrer Verletzung klar wurde? Nur drei Monate nach dem Unfall sagte sie in einem Interview: „[…] was soll ich machen? Ich bin der Meinung, je schneller man eine neue Situation akzeptiert, desto besser kommt man damit klar.”

Aufgeben ist keine Option
Für Kristina Vogel geht das Leben weiter. Sie nimmt es, wie es ist. Statt ihr Leben wie bisher 100 % auf den Leistungssport auszurichten, nimmt sie sich nun Zeit für Dinge, die sie immer schon machen wollte: einen Fallschirmsprung machen oder zu einem Live-Konzert gehen. Sie nennt es „ihr Jahr der ersten Male”. Ihre Gedanken verharren nicht bei Gedanken wie „warum ich?” oder „das habe ich nicht verdient”. Sie schafft es, sich auf ihr verändertes Leben einzulassen. Ihr Kampfgeist und ihre Motivation sind von Beginn an da. Sie setzt sich Ziele und kämpft dafür, ihre Selbstständigkeit zurückzubekommen.

Mut das Leben zu leben
Kristina Vogels Lebenswille und Mut, sich ihrem veränderten Leben mit ganzer Kraft zu stellen, inspiriert mich. Es ist für mich die Verkörperung des Satzes: „Das Leben eines Menschen ist das, was seine Gedanken daraus machen.”

Ich bin dankbar, dass ich in meinem Leben keinen so schweren Schicksalsschlag erlebt habe. Ein Vergleich dunkler Phasen in meinem Leben mit einem Schicksal, wie Kristina Vogel es erlebt hat, ist nicht passend. Aber etwas von der Kraft, die sie aus sich selber schöpft, habe ich auch in mir. Es ist das innere Ja zum Leben, so wie es ist. Aus diesem Ja erwächst der Mut, das Leben zu leben, das Leben wie es ist, nicht wie ich es mir wünsche.

Der leichtere Weg
Den dunklen Gedanken nachzugeben, ist der leichtere Weg. Er fühlt sich schwer an, da es meist mit Schwere und negativ wahrgenommenen Gefühlen einhergeht. Ich fühle mich hilflos, hoffnungslos und verzweifelt. Mir fehlt das Vertrauen darauf, dass in mir die Kraft ist, etwas zu ändern. Ich gebe der inneren Stimme nach, die zweifelt und hadert, und bleibe damit innerhalb meiner inneren Mauern.

Dabei ist in mir auch immer die Kämpferin, die weiß, was sie alles schon gemeistert hat. Sie weiß, dass der Mut an meiner Seite ist und ich die Zuversicht im Blick habe, wenn ich den Kopf hebe. Auf diese Stimme zu hören und sie zu nähren, ist oft der schwerere Weg.